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Ministerialbibliothek

Die Ministerialbibliothek ist eine theologische Fachbibliothek und Eigentum der Pfarrerschaft der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Schaffhausen, seit 1923 als Depositum der Stadtbibliothek übergeben. Ihre historischen und aktuellen Bestände – gegen 16’000 Bände – sind zu denselben Bedingungen zu benutzen wie die Bestände der Stadtbibliothek.

Die Ursprünge der Ministerialbibliothek liegen im 16. Jahrhundert. Um 1540 wurden die Reste der Bibliotheken der nach der Reformation von 1529 aufgehobenen Schaffhauser Klöster mit der seit 1509 bestehenden theologischen Büchersammlung in der Leutkirche zusammengelegt. Die früheste bekannte Erwähnung dieser liberey findet sich im Ratsprotokoll von 22. August 1547. Durch Schenkungen und Anschaffungen wuchs die Bibliothek rasch an. Ab etwa 1570 wird ihre Entwicklung massgeblich geprägt durch den Schaffhauser Reformator Johann Konrad Ulmer geprägt. In seinem Auftrag legte 1589 der Chronist Johann Jakob Rüeger den ersten und bis 1781 einzigen Katalog an. Er zählt neben Handschriften gut 500 gedruckte Bände auf.

Nach 1660 setzte im Schatten der aufstrebenden Bürgerbibliothek ein Niedergang der liberey ein. Am 18. Mai 1780 erfolgte die Gründung einer theologischen Lesegesellschaft unter dem Namen Ministerialbibliothek; die Bücher der liberey wurden integriert. Im 19. Jahrhundert wuchs die Bibliothek planmässig an. 1923 wurde die zu dem Zeitpunkt aus 12’000 Bänden bestehende Ministerialbibliothek räumlich mit der Stadtbibliothek an der heutigen Adresse zusammengeführt.

Die historischen Bestände der Ministerialbibliothek können auf Voranmeldung im Lesesaal der Bibliothek eingesehen werden. Bitte benützen Sie dafür das vorgesehene Online-Formular und beachten Sie die besonderen Bedingungen und Repro-Tarife.

Mittelalter

Zu den wertvollsten Teilen der Ministerialbibliothek gehören die 120 mittelalterlichen Kodizes mit der modernen Signatur Min. Sie stammen zur Hauptsache aus der Bibliothek des Benediktinerklosters Allerheiligen. Unter diesen nehmen die über 70 zwischen 1080 und 1150 im Skriptorium des Kloster entstandenen Pergamentkodizes eine besondere Stellung ein. Die Abschriften der Bibel und der Kirchenväter zeugen von der geistigen Blüte des 1049 gegründeten Klosters, das sich 1080 der Hirsauer Reform anschloss. Alle Kodizes sind mit kunstvollen Rankeninitialen geschmückt, einige wenige illuminiert.

Andere Handschriften der Ministerialbibliothek stammen aus dem Barfüsserkloster und tragen teilweise noch die Ketten der Kettenbibliothek. Vier Handschriften stammen aus dem rheinaufwärts gelegenen Frauenkloster Paradies, darunter Min. 98 und 99, zwei prachtvoll illustrierte Stundenbücher aus den 1460er Jahren. Unbekannter Herkunft sind die Extractiones de Talmud (Min. 71), eine lateinische Talmudübersetzung, die im Kontekt antijüdischer Polemiken um 1240 in Paris entstand und in lediglich drei Abschriften vorliegt. Hochberühmt ist zudem Min. 94, eine südostdeutsche Abschrift des sogenannten Mainzer Pontifikales von ca. 1050. Drei Federzeichnungen illustrieren darin die Verknüpfung von geistlicher und weltlicher Macht im Umfeld des Investiturstreits zwischen Kaiser und Papst.

Alle Handschriften sind beschrieben im Katalog der Ministerialbibliothek von Rudolf Gamper. Glanzstücke der Sammlung wurden digitalisiert und sind auf der Plattform e-codices zu finden.

Inkunabeln und Alte Drucke

Zu den hervorragenden Bestände der Ministerialbibliothek zählen die teilweise mit Ketten versehenen 120 Inkunabeln, frühe Drucke aus dem Privatbesitz des letzten Abts von Allerheiligen, Michael Eggenstorfer und Anschaffungen aus der Zeit des Reformators Ulmer. Einen zentralen Teil des Bestands bilden gegen 300 Ausgaben der Bibel in über einem Dutzend Sprachen, darunter die berühmte fünfsprachige Biblia Regia aus der Offizin des Christophe Plantin (Antwerpen 158x). Umfangreich sind sodann die über 1’800 kirchengeschichtlichen Werke und die Schriften zu Dogmatik, Ethik und Symbolik. Die Bestände sind im Zettelkatalog der Stadtbibliothek nachgewiesen.

Nachlässe

Neben Predigtmanuskripten von Schaffhauser Pfarrern sind zwei Nachlässe von hervorragender Bedeutung im Besitz der Ministerialbibliothek: die Briefe und Manuskripte des Schaffhauser Reformators Johann Konrad Ulmer (1519 – 1600), die sog. Ulmeriana, und der Nachlass von Johann Georg Müller (1759 – 1819), dem Bruder des berühmten Geschichtsschreibers Johannes von Müller.

Johann Konrad Ulmer war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine der profiliertesten kirchlichen Leitungspersönlichkeiten der Eidgenossenschaft. Nach Studien in Basel, Strassburg und Wittenberg wirkte er über 20 Jahre lang als Reformator in Lohr am Main in der Nähe von Würzburg. 1566 kehrte er nach Schaffhausen zurück und wurde 1569 Pfarrer zu St. Johann und Antistes (Vorsteher) der Schaffhauser Kirche, ein Amt, das er bis zu seinem Tod 1600 ausübte. Ulmer prägte das Gesicht der Schaffhauser Reformation in vielfacher Weise und pflegte intensiven brieflichen Kontakt mit seinen Kollegen in Basel, Bern, Genf, Strassburg und vor allem Zürich. Als Gelehrter und Reformer des gesamten Schaffhauser Kirchen- und Schulwesens schuf er die Grundlagen für die religiöse und intellektuelle Bildung der folgenden Generationen. Den Kernbestand von Ulmers handschriftlichem Nachlass in der Ministerialbibliothek bilden die Bände Min. 125 – 131, eine Sammlung von Schriftstücken unterschiedlicher Art, darunter viele Briefe, Gutachten, Schulratsprotokolle und andere kirchliche und schulische Akten, eigene theologische Schriften sowie Exzerpte aus Werken verschiedener Autoren. Der anschliessende Band, Min. 132, enthält die Briefe von Ulmers Sohn Johannes an seinen Vater. Der Gesamtumfang beträgt ungefähr 5’000 Seiten.

Die Ulmeriana sind digitalisiert und im Katalog des Stadtarchivs Schaffhausen verzeichnet, aber derzeit noch nicht online. Das Verzeichnis des Briefwechsels ist hier und das Verzeichnis der Korrespondenten hier einsehbar (Bearbeiter: Rainer Henrich).

Johann Georg Müller (1759 – 1819), der Bruder des berühmten Historikers Johannes von Müller, verbrachte sein ganzes Leben in Schaffhausen und diente seiner Vaterstadt u. a. als Erneuerer des Erziehungswesens und als Bibliothekar. Nach dem Tod des Bruders sorgte er dafür, dass dessen umfangreicher Nachlass und Bibliothek nach Schaffhausen gebracht wurden. Er gab die Werke Johann Gottfried Herders und die seines Bruders heraus. und vermachte seine eigene Bibliothek Johann Georg Müller der Stadtbibliothek. Sein Nachlass hingegen kam 1871 in die Ministerialbibliothek. Müllers umfangreicher Briefwechsel bildet eine aufschlussreiche Quelle zur Helvetik, v.a. auch zur geistig-religiösen Situation in Schaffhausen und der Schweiz, und enthält bedeutende Briefe und Aufzeichnungen Herders. Der Nachlass ist durch das Findmittel von Endre Zsindely erschlossen. Die Familienbriefe der Brüder Müller liegen in einer dreibändigen Edition von André Weibel im Wallstein-Verlag vor.