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Historischer Bestand

Bereits im Mittelalter gab es in Schaffhausen Bibliotheken: im Benediktinerkloster Allerheiligen, im Barfüsserkloster und in der Pfarrkirche St. Johann. Diese bilden den Grundstock der Ministerialbibliothek, die in der Stadtbibliothek am Münsterplatz aufbewahrt wird. 1636 gründeten initiative Bürger eine Bürgerbibliothek. Sie widmete sich den Wissenschaften und Künsten. Ihren Sitz hatte sie im Kreuzsaal des ehemaligen Klosters Allerheiligen. Die Sammlung wuchs durch Geschenke und Ankäufe kontinuierlich an und integrierte nach und nach auch die Bibliotheken der Lesegesellschaften der Zeit der Aufklärung sowie verschiedene Gesellschafts- und Vereinsbibliotheken.

Der historische Buchbestand der Stadtbibliothek inklusive Ministerialbibliothek ist beschrieben in Band 2 des Handbuchs der Historischen Buchbestände, eine interne, ausführlichere Version findet sich hier:

Die historischen Buchbestände der Ministerialbibliothek Schaffhausen

Die historischen Buchbestände der Stadtbibliothek Schaffhausen

Die historischen Bestände können auf Voranmeldung im Lesesaal der Stadtbibliothek eingesehen werden (siehe unten).
Bitte beachten Sie die besonderen Bedingungen und Repro-Tarife.

Mittelalter

Von herausragender Bedeutung sind die im Kloster Allerheiligen entstandenen Kodizes, die Bestandteil der Ministerialbibliothek sind.

Die 40 mittelalterlichen Handschriften der Stadtbibliothek stammen aus ganz Europa. Dazu gehört die älteste und berühmteste in Schaffhausen aufbewahrte Handschrift: die Vita Columbae (Signatur Gen. 1). Sie stammt aus dem schottischen Inselkloster Iona und entstand dort um das Jahr 700. Der Abt des Klosters, Adamnan, erzählt darin von Leben, Prophezeiungen, Wundern und Visionen des Klostergründers und Heiligen Columba (irisch Columcille), der von 519 / 522 bis 597 gelebt hatte. Die Handschrift gelangte vor der Mitte des 9. Jahrhunderts nach Nordfrankreich und anschliessend in den Bodenseeraum. Bis 1621 befand sie sich im Besitz des Klosters Reichenau, in Schaffhausen ist sie erstmals 1772 nachgewiesen. Der Schreiber nennt im Kolophon seinen Namen: der spätere Abt Dorbbene (†713). In dem Werk findet sich auch die älteste Erwähnung des Ungeheuers von Loch Ness. Die zweite weltberühmte Handschrift der Stadtbibliothek ist das Klosterneuburger Evangelienwerk (Gen. 8), eine mit Federzeichnungen reich bebilderte mittelhochdeutsche Übersetzung der Evangelien von ca. 1340 aus Niederösterreich.

Unter den Handschriften finden sich sodann u.a. verschiedene Arzneibücher, eine wahrscheinlich aus dem Besitz der mittelalterlichen Schaffhauser Judengemeinde stammende Tora (Gen. 30, um 1300) und ein Koran des 17. Jahrhunderts aus Persien (Gen. 106). Einige der Handschriften sind auf e-codices digitalisiert, alle sind beschrieben im Katalog von Rudolf Gamper.

Inkunabeln und Alte Drucke

Die Sammlung umfasst etwa 15’000 Bände aus der Zeit vor 1800, darunter 152 Inkunabeln aus der Zeit vor 1500, und nochmals 19’000 aus dem 19. Jahrhundert. Dazu kommen 900 Periodika. Zwei Drittel der Bücher sind auf Deutsch, gefolgt von Latein und Französisch. Zu den Schwerpunkten der Sammlung zählen Helvetica und Scaphusiana, Geschichte, Theologie, Astronomie, Geographie und Länderkunde.

Zu den hervorragenden Inkunabeln gehören die zweibändige deutsche Bibel aus der Offizin Koberger (Augsburg 1483, Inc. 24) mit zahlreichen kolorierten Holzschnitten. Sie stammt aus dem Besitz von Maximilian von Pappenheim auf Schloss Engen, der 1637 Teile seiner Bibliothek an Schaffhausen verkaufte. Ebenfalls bei Koberger erschien 1493 die Weltchronik des Hartmann Schedel (Inc. 59), die bedeutendste illustrierte Inkunabel. Sie ist eine Geschichte der Welt mit insgesamt fast 2000 Illustrationen, darunter 29 doppelseitige Stadtansichten und einer Weltkarte mit Afrika und Indien, aber noch ohne Amerika. Inc. 34 ist der berühmte Reisebericht des Bernhard von Breydenbach: «Fart uber mer zu dem heiligen grab» (Mainz 1486) mit Holzschnitten u.a. von Jerusalem und Venedig.

Aus dem 16. Jahrhundert sind hervorzuheben etwa die Imprese Illustri des Girolamo Ruscelli (Venedig 1566, BA 38) mit Portraits grosser Persönlichkeiten der Weltgeschichte. L*a 39a ist eine schöne Ausgabe der Jüdischen Geschichte des Flavius Josephus mit den Illustrationen des Schaffhauser Künstlers Tobias Stimmer (Strassburg 1590), L*a 87 eine Sammlung von 150 Kupferstichen der Monumente und Altertümer Roms u.d.T. Speculum Romanae Magnificenciae (Rom 1546 – 1591). Bei den Naturwissenschaften ragen hervor die beiden Erstausgaben «Underweysung der Messung mit dem Zirckel» von Albrecht Dürer (Nürnberg 1525), das erste Mathematikbuch deutscher Sprache (R*51) und insbesondere Kopernikus’ De revolutionibus orbium coelestium (Nürnberg 1543, R*74) mit unzähligen Anmerkungen des Tübinger Astronomen Michael Mästlin, dem Lehrer Keplers. Konrad Gessners erstes Tierlexikon Historia Animalium ist mehrfach vorhanden (Zürich 1555, S*40).

Aus dem 17. Jahrhundert stammt beispielsweise die arabische Grammatik des franziskanischen Missionars Agapitus (Padova 1687, J 17), eine seltene Originalausgabe, die sich durch den pragmatischen Einbezug umgangssprachlicher Elemente auszeichnet. Die Kabbala Denudata des schlesischen Gelehrten Christian Knorr von Rosenroth (Frankfurt 1684, NEc 134) ist eine lateinische Übersetzung von Schriften der jüdischen Mystik, die deren gemeinsame Wurzel mit der christlichen Lehre herleiten wollte. Die Erstausgabe von Galileis Sidereus Nuncius (Venedig 1610, RC 58) enthält auch die Dissertation Keplers (Prag 1610) samt Widmung des Autors an seinen Lehrer Mästlin und weitere astronomische Schriften. Die Gesandtschaft der Ostindischen Gesellschaft der Niederlande (Amsterdam 1666, TEd 61) des niederländischen Kaufmanns Johan Nieuhof gilt als erste umfassende Darstellung Chinas und enthält zahlreiche Kupferstiche.

Herausragende Bücher des 18. Jahrhunderts sind u.a. die erste deutsche Übersetzung des «Trattato della Pittura» von Leonardo Da Vinci (Traktat von der Mahlerey, Nürnberg 1724) mit zahlreichen Holzschnitten und Kupfertafeln, allerdings nicht von Leonardo, sondern von Charles Errard nach Nicholas Poussin. E* 24 ist der «Weiss Kunig» Kaiser Maximilians I in der ersten gedruckten Fassung (Wien 1775), eine Mischung aus Heldenroman, Chronik und Fürstenspiegel mit zahlreichen Illustrationen. Durch einen Sonderkredit erwarb die Bibliothek 1764 ein Exemplar der berühmten Encyclopédie Raisonnée Diderots und D’Alemberts (Paris, Neuchâtel 1751ff, Q* 82) in 13 Foliobänden. Ein Prunkstück ist  die sogenannte Kupferbibel (Physica Sacra) des Zürcher Johann Jakob Scheuchzer (Augsburg und Ulm, 1731 – 1735, S* 8) mit 750 Kupfertafeln und dem Versuch eines Gottesbeweises aus der Natur. Eindrücklich ist auch die Biblia naturae des holländischen Naturforschers und Anatomen Jan Swammerdam (Leiden 1737 – 1738, S* 34), eine umfassende, reich illustrierte Abhandlung zur Naturgeschichte der Insekten. Zu den Kuriosa gehört die Elephantographia Curiosa des Erfurter Naturforschers Georg Christoph Petri von Hartenfels (Erfurt 1715, SA 73) mit allem, was man damals vom Elefanten wusste oder annahm. Die «Reise durch verschiedene Provinzen des Russischen Reichs» fand 1767 auf Order von Zarin Katharina II. als grossangelegte Expedition bis an die chinesische Grenze statt; die Forschungsergebnisse veröffentlichte der deutsche Arzt und Ethnologe Peter Simon Pallas in einer reich illustrierten dreibändigen Ausgabe (St. Petersburg 1771 – 1776, TEb 42a).

Die historischen Bestände der Stadtbibliothek sind im Zettelkatalog und zunehmend auch im Online-Katalog BISCH ONLINE nachgewiesen.

Nachlässe und neuzeitliche Handschriften

In der Stadtbibliothek werden zahlreiche handschriftliche Nachlässe und Teilnachlässe von Schaffhauserinnen und Schaffhausern aufbewahrt. Zu nennen sind neben anderen der Naturwissenschafter Christoph Jezler (1734 – 1791), der Pfarrer und Geschichtsschreiber Melchior Kirchhofer (1775 – 1853), der Industriepionier Heinrich Moser (1805 – 1874), der Kulturhistoriker und Feuilletonist Enrico Wüscher-Becchi (1855 – 1932) und die Schriftstellerin Ruth Blum (1913 – 1975).
Daneben besitzt die Bibliothek Dutzende von neuzeitlichen Handschriften: Abschriften von Chroniken, Manuskripte von Schaffhauser Wissenschaftlern, Briefsammlungen aus der frühen Neuzeit, Tagebücher, Predigten, das illustrierte Originalmanuskript der Comedia von Tobias Stimmer (1539 – 1584), die Briefe des japanischen Schriftstellers Takeo Arishima (1878 – 1923) an die Schaffhauserin Tilda Heck (1877 – 1970) u.a. Die Handschriften und Nachlässe sind in einem gesonderten Zettelkatalog und nicht online nachgewiesen.

Von besonderer Bedeutung ist der Nachlass des Schaffhauser Historikers und Diplomaten Johannes von Müller (1752 – 1809) mit einer Korrespondenz von zehntausenden Briefen, die sein Bruder Johann Georg Müller nach Johannes’ Tod nach Schaffhausen brachte. Johannes von Müller war zu seinen Lebzeiten einer der berühmtesten Historiker deutscher Sprache, Verfasser eines «Bestsellers» zur Schweizergeschichte und einer Weltgeschichte. Zu seinen weltweiten Korrespondenzpartnern gehörten Goethe, Wieland, Schiller, Humboldt, Schlegel u.a. Der Nachlass ist knapp erschlossen durch das Verzeichnis von Karl Henking von 1903. In Buchform erschienen sind im Wallstein-Verlag die Familienbriefe von Johannes und Johann Georg Müller und die Liebesbriefe Johannes von Müllers an den «ungarischen Grafen Louis Batthyány Szent-Iványi», in Wahrheit den Hochstapler Fritz von Hartenberg, den Schützling von Müllers. Von Müller wurde so 1802 / 03 in Wien um sein ganzes Vermögen betrogen. In dieser als «Hartenberg-Affäre» bekannt gewordenen Geschichte um Hochstapelei und Liebe spiegelt sich anschaulich das Ringen um sexuelle Identität an der Schwelle zur Moderne. Darüber hinaus sind die Briefe eindrückliches Zeugnis dafür, wie Müller seine Homosexualität über zeitgebundene Vorurteile hinaus weiterdachte.