Seite wählen
U

Bibliothek Johannes Binder (Signatur Bin) in der Stadtbibliothek Schaffhausen

Aug 26, 2021

Die Bücher mit der Signatur Bin in der Stadtbibliothek sind das Vermächtnis des Autodidakten Johannes Binder, der, aus ärmsten Verhältnissen stammend, zeitlebens Bücher sammelte. Nach seinem Tod 1963 gelangte seine Bibliothek als Schenkung an die Stadtbibliothek, 2021 wurde der gesamte Bestand, insgesamt 1500 Titel, dank der tollen Arbeit unseres Zivis Luca in den Online-Katalog übertragen.

Wer aber war Johannes Binder, und woraus besteht seine Bibliothek? Ein kleines Dossier von Stadtbibliothekar Schellenberg von 1963 mit der Signatur Hs St Brog 28 gibt etwas Auskunft über den Schenker. Darin befindet sich u.a. ein handschriftlicher Lebenslauf Binders und Schellenbergs Nachruf in den Schaffhauser Nachrichten vom 6. September 1963. Geboren 1881 in Wolfhalden, Kanton Appenzell Ausserrhoden als Sohn eines Heimwebers, konnte Binder lediglich die Elementarschule besuchen. 1909 heiratete er die Zürcherin Mathilde Emilie Müller; im Zürcher Trauschein wird er dann bereits als “Privatgelehrter” bezeichnet. In der Tat war für den Broterwerb in erster Linie Mathilde zuständig, die als Buchhalterin in einer Textilfabrik in Wädenswil arbeitete. Johannes Binder, der wegen schwacher Gesundheit nicht zum Militär eingezogen wurde, konnte zuhause nach eigener Aussage “viel freie Zeit, die Studien und Bücherpflege ausfüllten” verbringen. 1931 zog das Paar in der Weltwirtschaftskrise nach Schaffhausen und eröffnete einen Engros-Handel für Hausierer, zunächst in der Vorstadt, dann auf dem Herrenacker und schliesslich an der Fäsenstaubstrasse. Eine Zeitlang kam auch noch ein Textilgeschäft auf dem Emmersberg dazu. Das Ehepaar lebte in kärglichen Verhältnissen. Als 1949 Mathilde Müller starb, wurde Johannes Binder ein Fall für die städtische Fürsorge. Er starb am 29. Juli 1963 im Alter von 82 Jahren.

Johannes Binder sammelte schon als junger Mann und bis ins hohe Alter Bücher. Im Mittelpunkt seines Interesses standen Philosophie und Psychologie, gefolgt von den Naturwissenschaften. Ein kleines oder grösseres Faible scheint er für Rudolf Steiners Anthroposophie gehabt zu haben; einiges Völkisches der 1920er und 1930er Jahre findet sich auch, daneben Bücher zu Moral und Sittlichkeit, aber auch zur deutschen Sprache. Romane fehlen in der Bibliothek hingegen gänzlich. Der Autodidakt Binder sammelte, was ihm gefiel, nicht unbedingt systematisch, zum Teil aber auf hohem und spezialisiertem wissenschaftlichen Niveau.

Auffällig ist der sehr gute Erhaltungszustand der Bücher – dies trotz der bescheidenen Verhältnisse, in denen die Binders lebten. Binder kaufte zumeist antiquarisch oder in Broschur. Mehr als ein Viertel der Bücher hat er sorgfältig selber gebunden, auch hier ganz der Autodidakt. Ein schulisches Studium oder die Möglichkeit zu Publizieren waren Johannes Binder versagt geblieben. Er betrachtete seine Sammelleidenschaft und seine Studien denn auch als private Liebhaberei – und die Bibliothek ist vor diesem Hintergrund sein Vermächtnis.

80% der Bücher stammen aus dem 20. Jahrhundert, der Rest aus dem 19. Zu den interessantesten gehören die Biographie Charles Darwins von dessen Sohn Francis (Stuttgart 1887, Bin 837) und die populäre Einführung in die Relativitätstheorie Einsteins durch Max Born (Berlin 1920, Bin 547). Ernst Haeckels “Die Kalkschwämme” (Berlin 1872, Bin 1007) war eine grundlegende meeresbiologische Monographie. Haeckel war nicht nur ein hervorragender Forscher, sondern auch ein begnadeter Zeichner, wie sämtliche aus seiner Hand stammenden Darstellungen und Bildtafeln auch heute noch durch ihre Naturtreue und Plastizität eindrucksvoll belegen. “Die Sitten der Südslawen” (Dresden 1927, Bin 1028) ist ein Buch der kroatischen Journalistin, Ethnographin und Feministin Jelica Belović-Bernadzikowska mit interessanten folkloristischen Illustrationen. Und unter Bin 433 findet sich Gottfried Benns berühmt-berüchtigte Schrift: Der neue Staat und die Intellektuellen (Berlin 1933), mit dem der Dichter sich der NSDAP andiente bzw. seinen Verbleib in Deutschland rechtfertigte.