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Buchempfehlung von Oliver Thiele                                                                                                                                                                  “Das Jahresbankett der Totengräber” von Mathias Enard (Hanser, 2021)

Mathias Enard führt uns in seinem neuen Roman in die Landschaft seiner Kindheit: Die Deux-Sèvres im Westen Frankreichs ist geprägt von der grossen Sumpflandschaft “Marais Poitevin” im Mündungsgebiet der Sèvre. Dort geht es ziemlich ab, wie ein junger Pariser Ethnologe feststellt, der sich für seine Dissertation in einem dortigen Dorf niederlässt. Mit der Dissertation wird es nichts, dafür aber mit dem Bio-Gemüseanbau an der Seite einer neuen Freundin lokaler Herkunft. Dazwischen spannt Enard ein weites Panorama der Dorfbewohner, ihrer Geheimnisse und Geschichten auf (die der Ethnologe nur am Rande mitbekommt), zurück bis ins Mittelalter, zu den Religionskriegen und zur Französische Revolution. Denn im Reich der Sèvres herrscht das Gesetz der Wiedergeburt – wer stirbt, kommt in einem anderen Leben, in anderer Zeit, wieder zur Welt. Durchaus nicht nur als Mensch. So wird zum Beispiel der Dorfpfarrer zum Wildschwein und der Lustmörder zum Wurm, der vom Ethnologen gleich wieder abgemurkst wird. Enard ist ein grossartiger Erzähler, sein Buch wird überall ausführlich gewürdigt und gelobt. Mir hat es sehr gefallen, mit der Einschränkung, dass die Wiedergeburtsgeschichte manchmal ein bisschen albern daherkommt.